Tsakonische Volksmärchen

 

herausgegeben und übersetzt aus dem Neugriechischen von Heidi Holzmann. Simmern: Pandion Verlag 2010.

Das vorliegende Buch ist eine Besonderheit: eine Erzählerin aus Deutschland widmet sich intensiv den Märchen ihrer Wahlheimat, kommt in Kontakt mit einer Märchensammlung und gibt diese Märchen in deutscher und griechischer Sprache mit ausführlichem Nachwort und Anmerkungen heraus. Die enge persönliche Verbindung der Herausgeberin wird schon zum Auftakt „In Memoriam“ deutlich, als sie an den „griechischen Ziehvater“ wie insgesamt an das Ehepaar erinnert, dem sie intime Kenntnis von Land, Leuten und Sprache und menschliche Wärme dieser Lebensphase verdankt.

     Den Ursprung hatte das Buch bei dem Philhellenisten Michael Deffner (1848-1934) aus Donauwörth, der seiner Begeisterung folgend      als Sprachlehrer nach Griechenland zog, vor allem in Athen lebte, ab 1877 als Haupt-Bibliothekar der Nationalbibliothek (S. 172),  seiner Sprachbegeisterung folgte und Texte als Sprachzeugnisse für seine Sprachstudien und Lehrmaterialien aufschrieb  („Zakonische Grammatik“, Schreibung des 19. Jahrhunderts, erschienen 1881, und das „Lexikon des Tsakonischen Dialekts“ von 1923).  Er sammelte neben Erzählungen („Sieben schöne Märchen in die neugriechische Volkssprache und den zakonischen Dialekt übertragen“ Athenai 1926) auch archäologische Funde. Daher kann man ihn wohl zu den Pionieren ethnologischer Feldforschung zählen. Seine Motivation führte zur Aufzeichnung zahlreicher Zeugnisse mündlichen Erzählens. Deffner dokumentierte eine Weiterentwicklung des Dorischen, das als Tsakonia in der Region Arkadia auf der Halbinsel Peloponnes noch heute zu hören ist.

Das neuere Interesse an diesen Publikationen des 19. Jahrhunderts führte zu einer Übersetzung der tsakonischen Märchen ins Neugriechische, aus dem sie ins Deutsche nun hier übersetzt und im Neugriechischen vorliegen.

Über das Leben Deffners und seiner Familie berichtet Heidi Holzmann im Nachwort (S. 171-176); hier führt sie ebenso in die Geographie und Geschichte der Region Arkadien ein (S. 162-169). Damit sind die Texte geographisch und auch wissenschaftsgeschichtlich eingebettet – wesentliche Kriterien für ihr Verständnis.

 Die 44 Märchen (dazu drei Texte im Anhang) sind recht unterschiedlicher Art. Sowohl Zaubermärchen, Schwänke als auch Exempla       sind zu finden. Spannend sind Requisitverschiebung und -erstarrung in den Texten zu beobachten als Zeichen lebendigen Erzählens aus dem 19./20. Jahrhundert, so drückt die Königstochter auf einen Knopf und ein Schwert fällt herab (S. 15) und der Held hat eine Pistole zur Verfügung (S. 59). So sind mitunter nur Fragmentarisches oder Motive aufgeschrieben, wie in Nr. 2, wo von einem Königsohn die Tochter eines anderen Königs nur zur Frau erhält, wenn er ein Handwerk beherrscht, die zweite Sequenz, die lebensrettende Wirkung dieses Könnens, wird aber nicht erzählt. Ein bemerkenswerter Schluss liegt auch in Nr. 4 vor, wo erzählt wird von einem Mann, der wegen seiner schönen Frau verfolgt wird (ATU 465), hier aber das Motiv der Rache fehlt und keine Königskrönung stattfindet. Einige Texte vermitteln bekannte Stoffe: Häufig unter heutigen Erzählern tradiert ist das Motiv von den drei Moiren (Nr. 37). Die Texte sind nicht für Kinder zurechterzählt, so dass auch die derbe Erzählung Nr. 20 von einem alten Ehepaar enthalten ist.

    Erzähler heute werden neue Stoffe finden, die von Vertrauen, Geduld lernen, von Auszug in die Fremde und Heimkehr, von Kindern, ihrem Werden und Schicksal und von religiösen Erlebnissen berichten.

  Die Anmerkungen und besonders die Typenbezeichnungen verdienen Anerkennung und den Dank der Erzählforscher; sie folgen nicht   dem System der Neuausgabe von Hans-Jörg Uther (bei Nr. 20 trifft die Zuordnung nicht). Leider ist an den Namen der genannten Erzähler nicht ablesbar, ob es sich um Frauen oder Männer handelt und welchem Kontext sie angehören. Auch die Variationen ähnlicher Erzählungen durch unterschiedliche Erzähler sind aufgenommen.

Das Buch bietet eine anregende Lektüre, denn Erzähler/innen heute können empfinden, wie sich Erzähler und Publikum die Texte anverwandelt haben. Daher gibt es neue Requisiten. Sie können sich anregen lassen zu kraftvollen Anverwandlungen dieser      Erzählstoffe.  Zugleich baut es auf den Sammlungen und der Griechenland-Begeisterung des 19. Jahrhunderts auf und gibt uns heute noch eine Ahnung davon.

 Ein empfehlenswertes Buch.

Dr. Kathrin Pöge-Alder, Leipzig/Jena

 

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                                                  FABULA

                       

   

                                                                Zeitschrift für Erzählforschung / Auszug aus Band 52 – Heft ½  2011-09-20

                                                                                              Holzmann, Heidi (Hg.):

 

TsakonischeVolksmärchen.Simmern:Pandion 2010. 191 S. - Märchen aus Griechenland gibt es in deutscher Übersetzung

so häufig nicht. Vergriffen sind die Ausgaben von Georgios A. Megas (1965, 1968), Felix Karlinger (1979) und Inez Diller (1982). Gleiches gilt für die von Marianne Klaar gesammelten und übersetzten Insel- und Legendenmärchen (1963, 1970, 1977,1987; vgl. auch Marianne Klaar:  Vom Märchensammeln in Griechenland. In: Märchenerzähler- Erzählgemeinschaft, ed. Rainer Wehse. Kassel 1983, 86 94). Um so mehr ist es zu begrüßen, daß Erzählforschern und Märcheninteressenten mit diesem hier anzuzeigenden Büchlein 44 tsakonische Märchen aus der Peleponnes-Region Lakonien, ergänzt um drei weitere abweichende Fassungen zum gleichen Erzähltyp (zu num. 17,24,29), zugänglich werden.

Die von Heidi Holzmann übersetzten Texte stammen zumeist aus der von Thanasis P. Kostakis zusammengestellten Chronika ton Tsakonon (1992), die Märchen num. 42, 43 und 44 hat Georgios A. Megas 1957/58  erstmals in der Zeitschrift  Laographia veröffentlicht. Holzmann, die nach eigenen Angaben 17 Jahre in Griechenland verbrachte und seit 1996 als Märchenerzählerin überregionale Bekanntheit erlangte (s. auch die Selbstdarstellung in Kathrin Pöge-Alder: Erzählerlexikon. Deutschland, Österreich, Schweiz. Marburg 2000,123), hat die Texte synoptisch abgedruckt (mit neugriechi­schem Text, ein Text als Muster im Tsakonischen).

Ein Nachwort informiert über kultur- und sprachgeschichtliche Besonderheiten Arkadiens, ein biographischer Aufriß stellt die Bedeutung des Sprachwissenschaftlers Michael Deffiier (1848- 1934) für die Erforschung des Tsakonischen heraus, und kleinere Kommentare erschließen stoffliche und motivliche Besonderheiten innerhalb des mediterranen Gebiets.

Typologische Bestimmungen (allerdings nur nach AaTh und nach griechischen Regionaltypen) sind beigefügt. Die Erzählungen entsprechen in ihrem Gehalt herkömmlichen Stoffen und Themen, wie sie auch in vergleichbaren ande­ren älteren und neueren griechischen Sammlungen begegnen.

Es sind vorwiegend Märchen und Schwanke, darunter mehrere Fassungen eines Erzähltyps oder eine ökotypische Fassung zu  Gevatter Tod (AaTh 332 A* = ATU 332), die auch als Typ 332 A* im neuen griechischen Typenkatalog nachgewiesen ist (Anna Angelo-poulou/Aigle Brouskou: Epexergasiaparamythiakön typon kaiparallagonAT 300-499 [Überarbeitung von Märchentypen und Varianten zu AaTh 300-499] 1-2. Athen 1999,457-462, hier 461).

Die Typennummera 1497,1516 und 1516 D (Angabe zu dem deftigen Schwank num. 20) beziehen sich vermutlich auf griechische   Ökotypen.

                                                               Verantwortlicher Herausgeber: Prof.  Dr. Hans-Jörg Uther, Göttingen

 

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                               Zeitschrift für Balkanologie  

 

Tsakonische Märchen

herausgegeben und übersetzt aus dem Neugriechischen von Heidi Holzmann, Simmern: Pandion-Verlag 2010. 192 S, Abb. ISBN 978-3-86911-013-4.

Es handelt sich um eine von Prof. Athanasios Kostakis eingeleitete zweisprachige Märchensammlung von 44 Texten in neugriechischer Übersetzung aus seiner eigenen Sammlung aus Leonidion (Chronika ton Tsakonon, Bd. 10, Athen 1992), die auch die Märchenkollektion von Georgios A. Megas von Tsakonen im Raum von Kozani umfasst (Laografia 17, 1957/58, 112-212), sowie die Märchen, die Michael Deffner (1848-1934), langjähriger Hauptbibliothekar der Griechischen Nationalbibliothek 1877-1910 und Herausgeber des Archivs für mittel- und neugriechische Philologie sowie der Zakonischen Grammatik (1881) und des Lexikons des Tsakonischen Dia­lekts (Athen 1923), bekannt auch für seine archäologischen und topographischen Studien, gesammelt hat (Deffner hat auch sieben Grimmsche Märchen ins Griechi­sche übersetzt, Athen 1926).

Zum offensichtlichen Missfallen der Sprachwissenschaftler wurde neben der deut­schen Übersetzung nicht der tsakonische Originaltext abgedruckt, sondern nur die Transliterierung in Standard modern Greek (eine bloße Textprobe auf S 161). Die­sem Lokaldialekt der SO -Peloponnes wird traditionellerweise großes Interesse ent­gegengebracht, handelt es sich doch um einen der ganz wenigen altgriechischen Dia­lektreste (Dorisch im konkreten Fall), die die Standardisierung der hellenistischen und byzantinischen keine überlebt haben (vgl. J. Niehoff-Panagiotidis, Koine und Diglossie, Frankfurt/M. etc. 1994).

Auf die kurze Einleitung von Thanasis Kostakis (10f.) folgen die 44 Texte (13-161), die folgende Typen umfassen (noch nach AaTh): 301+995+676, 949, 875D + 851cf. (Grimm, Kinder- und Hausmärchen 94), 465+1362A, 332A (KHM 44), 735, 974+910B (KH M 92), 974+910, 555+735 (KH M 19), 332 (KH M 44), 480+294 (KH M 24), 315A+511 (KHM 130), 315A+510AB (KHM 21), 650A+889+1538 (KHM 90), 1642+1009 (KHM 88), dass. noch einmal, 122+155 (KHM 73), dass. noch einmal, 1191 (KHM 212), 1539+1525,1497+1516+1516D, (bei Nr. 22 und 23 war eine Typen­bestimmung nicht möglich), 207, 1387A+1541, dass. noch einmal, 301, 1281 (KHM 174), 332A (KHM 44), 1544+650A+1538 (KHM 90), 1551+1538, 480 (KHM 64 / ATU 1696), 1920+852 (KHM 112), 554+278, 289+926, 1642+1610 (KHM 7), 1696 (KHM 32), 1525, 930A (KHM 29), 554, 945B (+ATU 899), 934-934E, 884+884A + 514+880-881 (KHM 67, zum Basilikummaedchen die Diss. von Michaiis G. Merakl is, Göttingen 1970), 1920+852+1853, 1640+1049+1095+1060 (KHM 20), 1641D (KHM 98), 1281 (KHM 174).

Auf die Texte folgen noch ein Nachwort „Anmerkungen zu Arkadia und den Tsakonen" (162-169), eine Kurzbiographie von Michael Deffner mit Bibliographie (171-176), der Abschnitt „Klassifizierung der Märchen" (177-188) bringt kurze Inhaltsanalysen, Angaben zu Varianten usw., Name des Informanten und Jahr der Aufzeichnung sowie die Typenbezeichnung, ein Literaturnachweis (189), Danksagung (191) und Angaben zur Biographie der Märchenerzählerin Heidi Holzmann, die ei­nen großen Teil ihres Lebens in Griechenland (u.a in Leonidion) verbracht hat.

Die Sammlung von Heidi Holzmann reiht sich ein in eine ganze Gruppe von zweisprachigen Märchenausgaben (griechisch/deutsch), unter denen vor allem die Sammlung epirotischer Märchen von Thede Kahl und Andreas Karzis, Köln, Thes­saloniki 2006 (vgl. meine Besprechung in Fabula 48/3-4, 2007, 346-347) zu erwähnen ist. Die Kollektion von Frau Holzmann gewinnt ihre besondere Bedeutung durch die seltene Dialektform der Originalerzahlungen, die zwar ins Standard-Neugriechisch übertragen sind, für Interessenten der griechischen Dialektforschung sind jedoch auch die veröffentlichten Originale zugänglich.

 

                                               Verantwortlicher Herausgeber: Prof.  Dr.  Walter Puchner, Athen   2013    

 

 

 

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